Kunstwerke aus der Natur

Für Vitalii Hinhuliak sind Pilze etwas ganz Besonderes. Mit Acrylfarben lässt der 44-Jährige aus Crailsheim die Naturgüter in allen Farben strahlen.



Vitalii Hinhuliak, @vitaliy_ging

Wir wandern durch den Wald, spüren das Moos unter unseren Füßen, hören die Vögel singen und atmen den schweren Duft von Holz und Erde ein. Zwischen Farn und Laub ragen hin und wieder Pilze aus dem Boden oder wachsen unscheinbar an Baumstämmen. Die meisten von uns gehen achtlos an ihnen vorbei – zu klein, zu unbedeutend, zu ungenießbar. Doch für Vitalii Hinhuliak sind sie eine wahre Sensation.

Der 44-Jährige stammt aus dem Westen der Ukraine und lebt seit drei Jahren mit seiner Lebensgefährtin und deren Tochter in Crailsheim. „Als ich nach Deutschland kam, war alles neu und fremd, ein Schock – die Sprache, die Kultur. Schritt für Schritt habe ich meinen Weg gefunden“, erzählt er. Nach einem B1-Sprachkurs findet er Arbeit bei der Feudel Holzbau GmbH.

Seine große Leidenschaft gilt den Rindenpilzen – Naturgebilde, die für andere wertlos wirken, für ihn jedoch zum Ausgangspunkt seiner Kunst werden. „Anfangs wollte ich die Pilze nur sammeln und dekorieren. Doch dann kam mir die Idee, sie mit Acrylfarben zu bemalen.“ Heute glänzen sie in Gold, Silber oder schimmernden Farbtönen.

Das Sammeln verlangt Geduld. „Große Pilze sind schwer vom Stamm zu lösen, kleine gehen leichter“, sagt er – und genau diese Mühe reizt ihn. Jedes Wochenende streift er durch die Wälder, immer auf der Suche nach neuen Formen. „In der Ukraine gab es mehr Pilze, ich kannte jeden Wald. Hier musste ich neue Orte entdecken.“ Faszinierend sei für ihn die Vielfalt: „Kein Pilz gleicht dem anderen – jede Struktur ist ein Unikat.“ Seit er ein Auto besitzt, kann er seine Ausflüge flexibler gestalten.

Seine Arbeiten haben bereits den Weg in Ausstellungsräume gefunden: 2023 zeigt er sie in der Volkshochschule Crailsheim, im Stadtmuseum und im KulturWerk. „Es freut mich, wenn meine Kunst den Menschen gefällt. Das zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich möchte den Leuten zeigen was man aus einem Pilz alles machen kann, denn sie können nicht nur an einem Baum hängen.“

Neben dem Malen begeistert ihn die Fotografie. Mit seiner Kamera hält er die Farben und Strukturen seiner Fundstücke fest. „Viele denken, es seien Korallen oder Meereswesen. Sie staunen, wenn ich sage: Das ist ein Pilz.“ Die Fotografie ist aus einer Not heraus entstanden: „Vor meiner ersten Ausstellung bat ich Bekannte in der Ukraine, mir Pilze zu schicken – aber sie durften die Grenze nicht passieren. Da blieb mir nur die Kamera.“

Hinhuliaks Weg ist nicht leicht. „Ich kam im Dezember 2022 nach Deutschland. Das Integrationsmanagement in Crailsheim hat mir sehr geholfen, die VHS hat mir Pilze zum Bemalen besorgt.“ Die Flucht zingt ihn, rund 2.000 bemalte Pilze zurückzulassen – geblieben sind ihm nur die Fotos. „Ich war schon immer kreativ und habe auch gerne mit Holz gearbeitet.“ In der Ukraine führte er ein kleines Möbelunternehmen, bis der Krieg ihm jede Perspektive nahm. „Die Sirenen, die Bomben – es war ein Leben in Angst. Hier in Crailsheim habe ich Frieden gefunden.“ Der 44-Jährige ist überzeugt: „Ich denke, dass es noch viele Jahre dauert bis der Krieg in der Ukraine nicht mehr sichtbar ist. Man muss die Gebäude nach den Angriffen wieder komplett aufbauen. Die Nachwirkungen werden groß sein.“

Doch sein Blick richtet sich nach vorn. Hinhuliak plant, aus Pilzen Schmuckstücke zu fertigen – Haarschmuck oder kleine Objekte für besondere Anlässe. „Ich trockne sie bei 100 Grad im Ofen, damit sie Jahrzehnte haltbar bleiben, bevor ich sie bemale.“ Dabei probiert er stets neue Farben und Materialien aus. „Ich male zuerst mit einer Farbe, lasse sie wirken und entscheide dann, welche Nuance dazu passt.“ Dabei könne ein bemalter Pilz jahrzehntelang seine Form und Konsistenz beibehalten.

Auch seine Familie teilt seine Leidenschaft: „Ich war mit meinem Freund in einem Wald bei Aalen. Wir sahen oben auf einem Baumstamm einen Pilz und dachten: Den bringen wir Vitalii mit“, erzählt die Tochter seiner Lebensgefährtin mit einem Lachen.

Seine Kunst teilt er inzwischen mit einer wachsenden Community auf Instagram: @vitaliy_ging. Für ihn sind Pilze weit mehr als Nebensache. „Viele sehen nur irgendeinen Pilz. Für mich ist jeder eine eigene Welt. Die Natur ist der wahre Künstler – ich helfe nur eine bisschen dabei ihre Schönheit sichtbar zu machen.“


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