Arbeiten hinter Gittern - Haller Knast hautnah
Die Kolpingstraße 1 in Schwäbisch Hall ist Meldeadresse für so manchen Mann. Über Strafgefangene im geschlossenen Männervollzug und wie die Arbeit als Frau hinter Gittern aussieht.
Erwachsene Männer drücken sich an die Gitterstäbe ihrer Zelle und johlen anzügliche, sexistische Sprüche. Als Frau in einem geschlossenen Männervollzug kann ich mir einiges auf dem Weg zur Kantine anhören. Im Sommer trage ich eine Veste über meinem Top, um meinen Oberkörper vollständig zu bedenken. Ich bin Beschäftigte im Bürodienst, doch auch hier habe ich täglich Berührungspunkte mit den Gefangenen. Haftgebäude drei, vier und fünf bilden mit Gebäude sechs, dem Werkdienst eine Art Kreis. In der Mitte ein Innenhof mit Teich. Durch diesen Innenhof muss ich gehen, um in die Kantine zu gelangen. Diese befindet sich im Gefangenbereich. Der Teich ist voll mit Algen und stinkt nach modrigem Wasser.
„Olla Chicka!“, „Mmmh lecker“ oder einfach nur Gepfeife der Gefangenen schrillen von allen Seiten auf mich herab.
Auf dem Innenhof liegen Essensreste. Meistens Brot, das die Gefangenen aus den Fenstern schmeißen. Außerdem gibt es eine Ratten-, Mäuse- und Taubenplage. Alles ist vollgeschissen. Es herrscht eine Flut an Testosteron. Dieses muss auf irgendeine Weise abgebaut werden. So seien wir Frauen öfter Opfer sexueller Gedanken der Häftlinge, äußert sich der damalige Vollzugsdienstleiter.
Meistens erlebe ich das Ausrücken der Gefangenen. Es ist um die Mittagszeit. Sie werden um 12 Uhr vom Werkdienst in ihre Zellen gebracht. Da spazieren auf einmal 30 Gefangene und 4 Vollzugsbeamte an mir vorbei. Die meisten Alarme ertönen um diese Zeit. Es kommt zu Schlägereien. Während eines Alarms geht gar nichts mehr. Ich komme weder raus durch die Torwache, noch rein, bis es geklärt ist.
Viele Gesichter kenne ich von der Fernsehsendung Aktenzeichen XY-ungelöst, doch ich habe nie Angst vor ihnen. Als Mitarbeiterin der Hauptgeschäftsstelle bin ich für die Einstellung neuer Mitarbeiter verantwortlich. Auch Dienstunfälle fallen in meinen Aufgabenbereich. Ein Kollege hat einen Wasserkocher über den Schädel gezogen bekommen, eine andere Kollegin fasst bei der Zellenkontrolle in eine Zahnbürste, die mit einer Rasierklinge verschmolzen ist. Danach: Bluttest auf Hepatitis und andere Krankheiten. Für die die Kollegen eine einzige Geduldsprobe. Der Gefangene habe diese genutzt, um sich sein Essen schneiden zu können. Die JVA hat außerdem Klassenräume, einen Fitnessraum, eine Kapelle und eine Krankenstation. Durch einen unterirdischen Tunnel kommen die Insassen auch außerhalb der Mauer in eine Turnhalle zum Sport. Der Knast ist in etwa eine kleine Stadt hinter Mauern.
Als EDV-Vertretung muss ich oft in die Hafttrakte. Bei Aufschluss laufe ich durch die Gefangenen im Flur, um in das Büro des jeweiligen Haftgebäudes zu gelangen. Es stinkt nach Schweiß, Urin und nach dem Geruch des Gummibodens. Die Zellen kaum größer, als 8 m². Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Türen auf- und wieder abgeschlossen, als dort im Knast.
Bekomme ich während der Arbeit Kopfschmerzen, so kann ich mir in der Krankenstation eine Tablette holen. Ich gehe in Gebäude 4, EG. Der Bereich gleicht einer Notaufnahme. Hier sind zudem die BGHs. Das sind Besonders-gesicherte-Hafträume. In BGHs werden Gefangene reingesteckt, wenn sie ausrasten. Es ist ein weißer Raum mit Klo im Boden verankert. MeinChef erzählt mir, dass einmal einer den Putz von den Wänden kratzte, um sich damit die Pulsadern aufzuschneiden. Als ich in der Krankenstation bin, liegt gerade einer drin. Sein Gesicht zum Boden. Ohne Anteilnahme. Wieder ein anderer hat sein Gesicht voller Sicherheitsnadeln. An den Lippen, den Lider, den Ohren ist er mit ihnen gepierct. Die Beamten müssen jeden, der in einen BGH kommt, gründlich durchsuchen. Es muss sichergestellt sein, dass er nichts bei sich hat, womit er sich das Leben nehmen kann. Alle Piercings müssen entfernt und die Arschritze durchsucht werden.
Während meinem Dienst hospitiere ich im Nachtdienst. Durch die Versorgungsklappe der Zelle geben wir Medikamente und Blutdruckmessgeräte aus. Das ist mein engster Kontakt zu den Gefangenen. Einer der Männer in der Strafhaft sagt zu mir: „Suchet Sie sich an andren Job.“ Aus jeder Zelle kommt ein anderer Gestank. Kippenrauch, Schweiß oder der Geruch von Essen. Die Kommunikation findet über das kleine Fenster der Zelle statt. Die Gefangenen wollen Smalltalk mit einem betreiben, da sie sonst niemand zum Reden haben. Ein Gefangener bittet mich höflich ihm ein Blutdruckmessgerät durch die Versorgungsklappe zu reichen. Fürsorglich komme ich seiner Bitte nach und kann seine Hände näher betrachten. Es waren normale Hände. Eben die eines Mannes. Mein Kollege fragt mich: „Weißt du mit wem du gerade gesprochen hast?“ Meine Antwort: „Nein“. Dieser Mann hätte eine Frau vergewaltigt und umgebracht. Ich sehe ihm seine Tat nicht an. Klar, weiß ich, dass die Männer hier nicht ohne Grund sitzen, doch sind es Menschen. Menschen mit großen Problemen.
Im zwei-Stunden-Takt laufen wir Runden an der Mauer entlang. Die Gefangenen pfeifen und geben Kommentare ab. „Hey Totschläger, hast heut deine Freundin dabei?“, so ein Gefangener in Haftgebäude 5. Ich bin nicht in Uniform und die Gefangenen wissen nicht, wie sie die Situation einschätzen sollen. Sie finden für alle Bediensteten dort Kosenamen.
Ein Kollege, der ehemals im Vollzugsdienst war und jetzt im Büro sitzt, sagt zu mir: „Die Kinderschänder hier kann man psychologisch nicht heilen. Du stehst auf Männer, ich auf Frauen und sie auf Kinder.“
Die Zeit dort ist auf jeden Fall eine Erfahrung wert, doch ich werde oft mit Schicksalen und Gewalt konfrontiert. Nichts für schwache Nerven! Ich habe viel fürs Leben gelernt, denn mit Gesetzen, wie dem Strafgesetz, wird man vertraut. Ich habe auch gelernt, wie ich mich selbst gegen sexuelle Übergriffe verteidigen kann. Gerade für Frauen kann diese Lektion überlebenswichtig sein. Die Sexualstraftäter sitzen nicht ohne Grund hinter schwedischen Gardinen. Dennoch hat mir ein enger Kollege geraten, dass ich für meinen beruflichen Weg mehr machen kann, als das. Klar, ist es interessant, doch das Arbeiten mit Strafgefangenen würde einen auf kurz oder lang psychisch verändern. Das habe er schon so oft miterlebt.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen