Zwischen Legenden, Sagen und Geschichte - der Matzenbacher Wald
Der Matzenbacher Wald und die Nikolauskapelle in Keuerstadt bergen jahrhundertealte Geschichten und Sagen. Jens Kimmerle gibt Einblicke in die Kapelle und spricht von einer Frau im weißen Brautkleid.
Das Rascheln der Blätter im Wind, das Zwitschern der
Vögel, der Duft von feuchtem Holz und Erde – all das verbinden wir mit dem
Wald. „Wer sich in Keuerstadt nicht auskennt, verläuft sich leicht“, erklärt
Nikolaus Kurz, Archivar in Jagstzell. Er gibt Einblicke in die
jahrhundertealten Geschichten des Matzenbacher Waldes und die Nikolauskapelle,
die bereits 1384 urkundlich erwähnt wird, aber vermutlich viel älter ist.
Die Kapelle, ursprünglich als Eremitage für Mönche
1280 erbaut und 1480 erweitert, birgt gotische Malereien und eine lange
Geschichte. „Da gab es zwei Mönche, die sich immer gestritten haben. Oben an
der Kapelle“, erzählt Kurz mit einem Lachen, während er Bilder auf seinem
Laptop durchstöbert. Zahlreiche Sagen ranken sich um den Wald, darunter die des
„Brandjockele“, eines einst gefürchteten Jägers. Obwohl seine Geistergestalt
Legende ist, belegen Mauerreste seines Hofes, dass es ihn tatsächlich gegeben
hat. Auch die Glocke der Kapelle hat eine bewegte Geschichte: Während des
Zweiten Weltkriegs bewahren Josef Hutter und sein Sohn sie vor der
Einschmelzung, sodass diese heute wieder bei Gottesdiensten erklingen kann.
Sagen sind nicht belegbar. Kurz vergleicht die wachsenden Erzählungen humorvoll
mit einem sich steigernden Gerücht. „Wenn ich meiner Frau erzähle, dass ich mir
in den Finger geschnitten habe, dann ist der Finger spätestens bei der fünften
Freundin meiner Frau ab.“
Rituale, Dämonen und Geisterbegegnungen
Durch Internetseiten, wie „Allmystery“ und „YouTube“
wird der Wald zunehmend als „Fantasy-Szene“ dargestellt, in der die nächtlichen
Waldbesucher mit Berichten über Geistererscheinungen und Rituale ihre Leser fesseln. Besonders die Kapelle gerät in den
Fokus: Autos parken in der Dunkelheit, schwarz gekleidete Personen tauchen auf.
„Wir waren wohl nicht erwünscht, da es fast zu Auseinandersetzungen kam und die
Männer auf uns los wollten.“, Handabdrücke und Kreuze finden sich auf
Fahrzeugen, nachdem eine Fahrt durch den Wald gewagt wird. Jugendliche sind auf
der Suche nach einem Nervenkitzel und Abenteuer. „An sich war am Anfang nichts
Ungewöhnliches, doch plötzlich hörten wir Schreie.“ Es existieren düstere
Legenden, etwa über einen Pfarrer und seine Tochter, die sich erhängt haben sollen,
und einen mysteriösen „siebten Weg“, der ins Nichts führt. „Wenn man in einer
Nacht bei Vollmond um 00:00 Uhr, dreimal links um die Kapelle geht und durch
ein kleines Fenster schaut, sieht man den Pfarrer am Seil hängen. Geht man
dreimal rechts herum, sitzt die Tochter auf der Kapelle.“ In einem Video wird
dieses Experiment von einer Gruppe gewagt: Nach einem Laufmarathon dreimal
links um die Kapelle wird durch ein Guckloch in der Türe gefilmt und ein
betrunkener Pfarrer mit Effekten eingeblendet. Wenn Kerzen in der Kapelle
brennen, solle man schnell den Wald verlassen, da Satanisten ihre Rituale
abhalten. An der Autobahnbrücke habe man eine schwarzgekleidete Person
wahrgenommen, die dem Auto einer Gruppe hinterhergesehen hat. In einer weiteren
Legende wird der Wald durch die Brücke in zwei Bereiche geteilt – Gut und Böse.
Ein anderer Nutzer berichtet von einem Besuch mit „seinen Kumpels“. Als relativ
ungläubige Person habe er sich nichts dabei gedacht. „Heute, als ich mein Auto
auf der Straße geparkt hatte, lag auf einmal eine Alte ausgewaschene Puppe auf
meiner Motorhaube.“ Eine weitere Gruppe schreibt, dass sie kurz am Forsthaus
nahe der Kapelle ausgestiegen ist, um eine „Kippe“ zu rauchen. „Dann erblickte
ich am Fenster einen Mann, eine Frau und zwei Kinder die wie Wachsfiguren auf
uns runterstarrten. Sie haben Ihre Köpfe gedreht und ich wandte den Blick ab,
starrte aus Neugier erneut und sie waren weg. Auch eine Freundin habe das
Spektakel bemerkt – „Lass uns bitte schnell hier abhauen.“ Zudem gäbe es eine
weiße Frau, die am Wegrand auftaucht. „Wenn du sie siehst, sollst du sie mit
dem Auto mitnehmen und sie verschwindet nach ein paar Kilometern.“ Lasse man
sie stehen, stirbt man. Andere User berichtigen, dass es sich um die weiße Frau
des Ebersberger Forst handle.
Die Frau im weißen Brautkleid
„In den Jahren 2022
und 2023 gab es eine regelrechte Einbruchserie“, erklärt Pfarrer Jens Kimmerle. Die
Gemeinde sehe die Kapelle als Problem. Seit fünfeinhalb Jahren sei er nun
bereits in der Gemeinde tätig. Satanische Symbole tauchen auf, die Türe der
Kapelle wird mit Äxten und Brecheisen beschädigt, das Schloss am Außengitter
der Türe: aufgebohrt. „Es war
klar: Hier sind Gruppierungen unterwegs, die sich mit dunklen Ritualen
beschäftigen.“ Trotz Sicherheitsmaßnahmen bleiben die Aktivität
bestehen. Kameras dokumentieren nächtliche Besucher, die sich Zutritt
verschaffen – einige Täter werden identifiziert und müssen soziale Dienste
leisten. So auch eine Gruppe von vier jungen Personen, die anhand ihres
Autokennzeichens „entlarvt“ werden. Über die beschädigte Eingangstüre habe sich
das Quartett Zutritt zur Kapelle verschafft und sich „nur mal umsehen wollen“.
Für Pfarrer Kimmerle ist klar: Die Mithilfe beim Keuerstadtfest sei sinnvoller,
als ihnen eine Geldstrafe aufzubrummen. „Man nahm sehr viel Bewegung um die Kapelle wahr, vor allem nachts.“ Die
Kapelle hält die Gemeinde in Atem - keine Nacht Ruhe.
Nikolaus Kurz klärt
auf: „Es gibt keinerlei historische Nachweise, dass sich in der Nikolauskapelle
jemand umgebracht hat. Auch das Forsthaus, das als frühere Jugendherberge
vermutet wird, war schon immer ein Forsthaus.“
Der ehemalige Siedlungsort entwickelt sich zu einem
Schauplatz unheimlicher Ereignisse. Kimmerle schlägt vor die Kapelle offen zu
lassen und den hinteren Teil abzusperren – abgelehnt. „So hätte man in die
Kapelle können, um zu sehen, dass nichts Mystisches vor sich geht.“ Die
Kehrseite: Angst vor Saufgelage im Wald. Das sei in der Vergangenheit bereits passiert.
Eine besonders rätselhafte Beobachtung ereignet sich
Ende 2022: Eine Frau in einem weißen Brautkleid steht nachts um 2 Uhr vor der
Kapelle, umringt von schwarz gekleideten Personen. „Um sie rum schön im
Halbkreis aufgestellt, zehn bis zwölf Leute in schwarzen Anzügen.“ Kimmerle
nimmt vieles mit Humor, doch manches bleibt unerklärlich. Das „Grüppchen“ habe sich nicht
strafbar gemacht, sondern nur irgendein Ritual abgehalten. „Wir haben schon
gesagt, da müssen wir mal zwei bis drei Nächte zelten, um das mitzuerleben.“
Hervorgerufen sei die
Einbruchs- und Beschädigungswelle unter anderem durch Internetseiten, die den
„mystischen Grusel“ fördern, so Pfarrer Jens Kimmerle.
Trotz der Spukszene ist
die Kapelle ein bedeutender Ort mit langer Geschichte. Der Altar stamme aus dem
13. Jahrhundert, die Malereien aus dem 17. Jahrhundert. Der ehemalige
Siedlungsort liege an der Poststraße von Ellwangen nach Nürnberg. Heute wird
das Kapellchen noch für Gottesdienste, Feste und sogar Konfirmandenausflüge
genutzt. „Das Klostergestühl ist sicher später reingebracht worden. Es ist auch
heute noch in Mönchklostern zu finden“, erklärt Kimmerle. Die Bänke sind durch
Abtrennungen und Klappsitzflächen gekennzeichnet. Daher komme auch die
Redewendung „Halt die Klappe“, erklärt Kimmerle mit einem Lachen. Scheinbar
falle der Klappsitz des Öfteren bei Gebeten runter. Die Malereien stammen wahrscheinlich
aus dem Lebenszyklus des heiligen Nikolaus.
Pfarrer Kimmerle möchte den Ort bewahren: „Es ist ein historischer Ort, der sakral genutzt wird.“ Er betont, dass die Geschichte um dunkle Rituale und Spuk nur Spekulationen sind. Die wahre Bedeutung des Ortes liegt in seiner Geschichte, Kultur und einer langen Tradition.


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