„Ich war im Protestmodus“

Für einen 45-Jährigen bleibt das Volksfest 2024 in besonderer Erinnerung. Er muss sich vor dem Amtsgericht für Widerstand, Beleidigung und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte verantworten.

Tätlicher Angriff, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten auf dem Crailsheimer Volksfest 2024 im Engelzelt

„Ich habe passiven Widerstand geleistet, weil man mich so behandelt hat“, sagt ein 45-Jähriger, der sich vor dem Amtsgericht Crailsheim für seine Taten auf dem Volksfest 2024 verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft warf ihm sexuelle Belästigung einer Minderjährigen, tätlichen Angriff, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor.

Am Abend des 22. September 2024 feierte der Angeklagte im Engelzelt mit Freunden. Laut Anklage soll er einer 15-Jährigen an das Gesäß gefasst haben. Die Jugendliche wandte sich an die Security, woraufhin der Mann festgehalten und der Polizei übergeben wurde. Der Angeklagte bestreitet die Berührung und erklärt, er habe lediglich mitgetanzt.

Bei der anschließenden Polizeikontrolle habe der 45-Jährige laut Anklage ein aggressives Verhalten gezeigt. Die Beamten mussten ihn zu Boden bringen und fixieren. Er habe sich heftig gegen das Anlegen der Handschellen gewehrt und die Beamten mehrfach beleidigt – unter anderem mit den Worten „Spinner“, „Fickt euch“ und „Witzfiguren“. Daraufhin wurde er in Gewahrsam genommen. Dort weigerte er sich, seine Kleidung abzulegen, weshalb diese mit einer Schere entfernt wurde – ebenso seine Festivalbändchen, was der Angeklagte als besondere Demütigung empfand. „Seid ihr bescheuert?“, soll er den Beamten daraufhin entgegnet haben.

Der 45-Jährige schilderte vor Gericht, er habe sich gedemütigt und ungerecht behandelt gefühlt. Er sprach von Angst, Wut und Kontrollverlust. Seine Verletzungen – Schürfwunden, Blutergüsse und Prellungen – seien Folge des Polizeieinsatzes. Eine ärztliche Untersuchung ergab keine schweren Verletzungen.

Der Angeklagte ist gelernter Einzelhandelskaufmann, bezieht eine Erwerbsminderungsrente und befindet sich wegen psychischer und körperlicher Erkrankungen in Behandlung. Der Prozess belastet ihn sichtlich – während seiner Aussage vor Gericht bricht der 45-Jährige mehrfach in Tränen aus. Derzeit arbeite der ehemalige Crailsheimer in einer Kindertageseinrichtung.

Seit Jahren besucht der Mann mit Freunden das Crailsheimer Volksfest. „Wir haben uns auf der Empore im Engelzelt platziert und natürlich auch etwas getrunken“, erzählt er. Plötzlich habe er im unteren Bereich des Zelts eine Gruppe Jugendlicher bemerkt. „Sie hatten Spaß und waren schon gut dabei.“ Besonders vier Jungs seien ihm aufgefallen – aus einer spontanen Laune heraus habe er sich der Gruppe angeschlossen und mitgetanzt. „Wir haben rumgealbert. Aus meiner Sicht ist nichts anderes passiert. Plötzlich brach dann Unruhe aus.“

Ein Mann habe ihn angeschrien, im nächsten Moment sei er von Sicherheitskräften an die Bühnenwand gedrückt worden. Das Mädchen, das er angeblich belästigt haben soll, sei ihm nur kurz aufgefallen, als es auf einer Bierbank stand. „Die Berührung am Gesäß, die mir vorgeworfen wird, hat nie stattgefunden“, beteuert er. Körperkontakt habe er lediglich mit der Security gehabt. „Man hat mich gepackt und ins Jugendbüro gebracht.“ Dort sei ihm erklärt worden, was ihm vorgeworfen werde. „Ich war verwirrt und habe einen Alkoholtest verweigert.“

Tätlicher Angriff, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten auf dem Crailsheimer Volksfest 2024 im Engelzelt

Durch eine Glasscheibe habe er schließlich die weinende Geschädigte erkannt. „Erst da habe ich verstanden, worum es geht. Ich dachte nur: Ernsthaft? Ist das dein Ernst?“ Wut und Unverständnis seien in ihm aufgekommen. „Ich habe mich gefragt, warum ich mich fügen soll, wenn ich doch nichts gemacht habe. Ich war dann im Protestmodus.“ Auch eine Polizistin habe ihn, so der Angeklagte, wiederholt verbal provoziert.

Einem Platzverweis kam er nicht nach. „Ich habe nichts getan“, wiederholt er immer wieder. Schließlich habe ihn ein Beamter von hinten kräftig gestoßen. „Aus dem Affekt habe ich mich umgedreht, um seinen Arm wegzuschlagen“, schildert der 45-Jährige. „Ich habe gesagt, er soll mich nicht anfassen – und dann sind vier, fünf Beamte über mich hergefallen.“ Er sei zu Boden gebracht und fixiert worden. Beim Versuch, ihm Handschellen anzulegen, habe er sich steif gemacht. „Ich habe es ihnen schwer gemacht. Sie haben mich richtig in den Boden gedrückt.“

Die Folgen zeigen sich auf den Beweisfotos: Schürfwunden im Gesicht, Blutergüsse am Körper. Auch in den Streifenwagen habe er sich nicht setzen wollen. „Es kam alles zusammen: Angst, Wut, Adrenalin.“ Die Beamten hätten ihn daraufhin gepackt und zum Fahrzeug geschleift. Dort sei er erneut auf den Bauch gedrückt worden, ein Knie habe ihm auf den Hals gedrückt, sodass er kaum Luft bekam. „Es hat sie nicht interessiert, dass ich keine Luft bekam“, sagt der Angeklagte. Schließlich sei ein Bus organisiert worden, um ihn liegend zum Revier zu bringen.

„Lass mich bitte aufstehen. Kann ich bitte meinen Schuh wiederhaben?“, habe er mehrfach gefleht. „Es war absurd – ich musste plötzlich lachen und sagte zu den Beamten: Ihr spinnt doch.“ Zu den Beleidigungen bekennt er sich schuldig. „Im Bus habe ich es ihnen auch schwer gemacht und mich tragen lassen.“

Im Transportbus sei er erneut auf den Boden geworfen worden. „Sie haben mein rechtes Bein gegen jegliche Anatomie nach oben gedrückt. Ich habe gebettelt, dass sie loslassen.“ Schließlich sei er psychisch und körperlich völlig erschöpft gewesen. „Auch Blut hat man mir gegen meinen Willen abgenommen.“

In der Arrestzelle habe er sich sämtlichen Aufforderungen widersetzt. „Ich dachte mir, wenn sie nicht kooperativ sind, bin ich es auch nicht.“ Schließlich hätten die Beamten ihm die Kleidung vom Körper geschnitten – ebenso seine Festivalbändchen. „Die haben für mich einen großen Wert gehabt. Es war ihnen egal. Da dachte ich mir nur: Seid ihr bescheuert.“

Der Verlust seiner Armbänder habe ihn tief getroffen. „Dann stand ich mit Unterhose und Socken da, als die Tür zuging.“ Die Bedingungen in der Zelle beschreibt der Angeklagte als erniedrigend: „Ich hatte keine Decke, nur eine Pritsche. An der Wand war Kot von anderen, auf den Fliesen mein eigenes Blut. Es war zu kalt, um sich hinzulegen.“ Fünf Stunden sei er im Kreis gelaufen, um nicht zu frieren.

Seine Bitte, den Zustand der Zelle zu dokumentieren, sei mit den Worten abgewiesen worden: „Wir sind Polizisten, keine Putzfrauen.“ Erst nachdem Fingerabdrücke und Fotos gemacht worden waren, durfte er gehen.

Während seiner Schilderung weint der 45-Jährige erneut. „Ich war völlig am Ende, wie in einem falschen Film. Ich würde niemals ein Mädchen anfassen. Meine Freundin und ich wollen heiraten.“ Nach dem Vorfall sei er zu einem Freund nach Altenmünster gelaufen, von dort nach Hause nach München gefahren und anschließend in die Notaufnahme. „Mein ganzer Körper war voller blauer Flecken, mein rechtes Knie ruiniert, eine Schürfwunde am Kopf.“ Auf den MRT-Bildern seien keine gravierenden Verletzungen festgestellt worden.

„Nach meiner Wahrnehmung habe ich nie um mich geschlagen, sondern mich nur steif gemacht“, sagt er. Den Platzverweis habe er nicht akzeptiert, da er sich ungerecht behandelt fühlte. „Mein trotziges Verhalten führte dann wohl zu einer Bewegung in Richtung des Beamten, der mich geschubst hat.“

Richterin Uta Herrmann hält ihm entgegen: „Versetzen Sie sich in die Lage der Polizisten. Da kommt ein Mädchen, das sagt, Sie hätten sie unsittlich berührt – und Zeugen bestätigen diese Aussage. Wäre es da richtig gewesen, Sie einfach wieder ins Zelt zurückzulassen? Sie waren immerhin in einem bedenklichen Zustand.“

Unter den Zeugen befindet sich auch der Polizeihauptkommissar, den der Angeklagte angeblich mit einem Faustschlag ins Gesicht geschlagen haben soll. „Ein normales Gespräch war mit ihm nicht möglich“, schildert der Beamte. „Er hat ständig mit seiner grauen Jacke herumgefuchtelt.“ Als der 45-Jährige im Jugendbüro wütend auf den Tisch geschlagen habe, habe er ihm einen Platzverweis erteilt. Der Aufforderung, nach rechts zu gehen, sei der Mann jedoch nicht gefolgt. Stattdessen habe er provokant entgegnet: „Jetzt geh ich erst recht nach links.“ Daraufhin habe der Polizeihauptkommissar den Arm des Angeklagten nach unten gedrückt, da dieser erneut mit seiner Jacke gestikuliert habe. In diesem Moment habe der 45-Jährige seine Hand ruckartig in Richtung des Beamten geschlagen und dabei dessen Schulter getroffen. „Das hat er vermutlich nicht mit Absicht gemacht“, so der Zeuge. Nach dem Zwischenfall seien weitere Kollegen hinzugekommen, um den Mann zu fixieren. „Er konnte noch laufen und sprechen, war aber verbal sehr aggressiv.“ Den mutmaßlichen sexuellen Übergriff im Engelzelt habe der Angeklagte gegenüber den Beamten vehement bestritten.

Den vermeintlichen Faustschlag wertete der Beamte selbst nicht als gezielten Angriff: „Ich habe den Platzverweis mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt und seinen Arm nach unten gedrückt, als er wieder mit der Jacke gestikulierte. Wir standen uns gegenüber, und ich habe einen Stoß verspürt. Welche Absicht dahinter steckte, kann ich nicht sagen – ich glaube nicht, dass er mich absichtlich im Gesicht verletzen wollte.“

Tätlicher Angriff, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten auf dem Crailsheimer Volksfest 2024 im Engelzelt

Während der Aussagen der übrigen Polizeibeamten zeigt sich der Angeklagte aufgebracht. „Mit dem Platzverweis war er nicht ganz einverstanden“, berichtet ein weiterer Diensthabender. Der 45-Jährige habe durchgehend erheblichen Widerstand geleistet, wodurch sowohl das Anlegen der Handschellen als auch der anschließende Abtransport deutlich erschwert worden seien. „Sechs Kollegen mussten massive Kraft aufwenden.“ Aus seiner Sicht habe der Vorfall wie ein gezielter Faustschlag auf seinen Kollegen ausgesehen. Zur Situation in der Gewahrsamszelle erklärt er: „Die Gewahrsamsverordnung schreibt vor, dass festgesetzte Personen durchsucht und entkleidet werden müssen, um Selbstverletzungen zu verhindern.“ Der Angeklagte sei zu diesem Zeitpunkt in einem Zustand gewesen, in dem man ihn „nicht mehr auf die Menschheit hätte loslassen können“. Er verweist darauf, dass solche Sicherheitsmaßnahmen Routine seien. „Es kommt immer wieder vor, dass Personen in Gewahrsam versuchen, die Kamera mit der Matratze abzudecken und sich mit einer Decke zu strangulieren.“ Den Vorwurf, die Beamten hätten die Heizung absichtlich abgestellt, weist er entschieden zurück: „Die Zellen sind beheizt. Wir hatten schon viele Leute da unten – es ist eben kein Hotel, sondern eine Zelle. Die Heizung läuft, sie wird nicht ausgeschaltet.“

Besonders aufgebracht reagiert der Angeklagte während der Aussage eines weiteren Polizeibeamten. Dieser, so der 45-Jährige, habe „dreimal ohne mit der Wimper zu zucken gelogen“. Der Polizeihauptmeister hingegen schildert das Verhalten seines Kollegen als „von Engelsgeduld geprägt“. Seinen Angaben zufolge habe der Angeklagte „unzweifelhaft versucht, dem Kollegen einen Faustschlag ins Gesicht zu versetzen“. Dieser habe jedoch ausweichen können und sei stattdessen an der Schulter getroffen worden. Daraufhin hätten er und seine Kollegen die Arme des 45-Jährigen blockieren und ihn mit erheblichem Kraftaufwand zu Boden bringen müssen. Dabei seien Beleidigungen wie „Fickt euch“ und „Ihr seid so lächerlich“ gefallen. Da der Mann sich heftig wehrte, habe man ihn schließlich tragen müssen. „Ein regulärer Abtransport war nicht möglich, daher wurde ein Bus organisiert“, erklärt der Beamte. „Wir haben ihm die Maßnahme erklärt, Zwang angedroht und diesen dann auch anwenden müssen.“

Auch auf der Polizeiwache habe der Angeklagte laut dem Zeugen ein respektloses Verhalten an den Tag gelegt. In der Zelle habe er wiederholt die Klingel betätigt und die Beamten verbal attackiert. „Wäre ihm kalt gewesen, hätte er das sagen können“, betont der Polizeihauptmeister. Die Matratze sei entfernt worden, weil man befürchtet habe, der Angeklagte könne damit die Überwachungskamera abdecken. „Wir wollten vermeiden, dass Beamte die Zelle erneut betreten müssen“, so der Zeuge. „Die Zelle war beheizt, und wir hätten die Temperatur bei Bedarf im Nebenraum erhöhen können.“

Den Vorwurf, man habe den 45-Jährigen geschlagen oder ihm mit dem Knie die Luft abgedrückt, weist der Beamte entschieden zurück. „Das hat zu keiner Zeit stattgefunden. Niemand hat auf ihm gesessen oder ihn geschlagen.“ Der Transport im Bus sei liegend erfolgt, Schmerzgriffe seien dabei nicht nötig gewesen. „Auch sein Bein wurde zu keiner Zeit angewinkelt.“

Während der Aussage des Polizeihauptmeisters zeigt sich der Angeklagte zunehmend erregt. „Der lügt wie gedruckt“, ruft er in den Saal. Richterin Uta Herrmann mahnt ihn zur Ruhe: „An Ihrer Stelle würde ich mich zurückhalten.“

Der Beamte bestreitet zudem, dass eine zweite Fixierung oder eine Blutentnahme stattgefunden habe. „Nach der ersten Fixierung gab es keine weitere. Niemand hat ihm mit dem Knie die Luft abgedrückt“, betont er.

Auch die 15-jährige mutmaßlich Geschädigte wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Sie erklärte, sie habe eine Berührung gespürt, wisse aber nicht sicher, ob der Angeklagte sie verursacht habe. Auch ein Freund konnte keine Belästigung beobachten. Richterin Uta Herrmann verliest daraufhin die frühere Aussage des 16-Jährigen aus dem Jahr 2024: „Man tauschte Freundlichkeiten und High Fives mit dem Angeklagten aus, bis dieser mit der Hand an das Gesäß des Mädchens griff.“ An diese Passage könne sich der Zeuge inzwischen nicht mehr erinnern.

Freunde des Angeklagten sagten aus, die Polizei habe überreagiert und den Mann unnötig hart behandelt. Sie schilderten, er habe nur getanzt, ohne jemanden belästigt zu haben. Eine Zeugin sprach von einem ruppigen Vorgehen der Einsatzkräfte. Mehrere Zeugen bestätigten, dass der Angeklagte nach der Fixierung am Boden lag und Schmerzen hatte.

„Auf dem Volksfest tanzt einfach jeder mit jedem. Wir filmen uns da immer gegenseitig.“ Richterin Uta Herrmann reagiert mit einem Schmunzeln: „Ich geh da auch hin – aber so mache ich das jetzt nicht.“ Der Zeuge betont, dass er weder eine Auseinandersetzung noch ein weinendes Mädchen wahrgenommen habe. „Die Polizisten waren sehr unfreundlich und haben unsere Personalien aufgenommen, aber keine Aussage von uns gewollt.“

In seiner Schilderung wirft er den Einsatzkräften vor, den Angeklagten provoziert zu haben: „Man hat ihn immer wieder geschubst und angebrüllt. Wir wollten sowieso gerade gehen. Er wollte nur die Hand des Polizisten wegschlagen – da haben sie ihn schon zu Boden gedrückt.“ Der Zeuge beschreibt die Szene als äußerst ruppig: „Sie haben ihn brutal auf den Boden gedrückt, obwohl er sich nicht gewehrt hat. Fünf Leute saßen auf ihm drauf.“ Besonders ein bärtiger Beamter – jener, der laut Verteidigung in Teilen falsch ausgesagt haben soll – sei ihm als der Aggressivste in Erinnerung geblieben.

Eine weitere Zeugin bestätigt ebenfalls die geschilderten Ereignisse. „Die Jugendlichen waren ziemlich angetrunken – einer wollte uns sogar eine Biermarke klauen“, erzählt sie vor Gericht. Eine sexuelle Belästigung durch den 45-Jährigen habe sie zu keinem Zeitpunkt beobachten können. Den Polizeieinsatz beschreibt die Zeugin als äußerst hart. „Einer der Polizisten hat ihm sogar seitlich in die Rippen geschlagen. Sein Gesicht wurde in den Kies gedrückt“, sagt sie sichtlich betroffen.

Tätlicher Angriff, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten auf dem Crailsheimer Volksfest 2024 im Engelzelt

Ein weiterer Zeuge, der den Angeklagten bereits länger kennt, schildert den Abend aus seiner Sicht. „Die Kinder haben unten an der Bühne getanzt, und er ist dann zu ihnen hinuntergegangen“, erzählt er. „Plötzlich wurde es laut, und die Security hat ihn gegen die Bühne gedrückt.“ Er selbst habe keine Beobachtungen gemacht, die den Vorwurf der sexuellen Belästigung bestätigen könnten.

Im Verlauf der Verhandlung werden mehrere Videoaufnahmen gezeigt – sowohl Handyvideos von Freunden des Angeklagten als auch Sequenzen aus den Bodycams der eingesetzten Polizeibeamten. Auf den ersten Aufnahmen ist der 45-Jährige ausgelassen tanzend im Engelzelt zu sehen. Die Stimmung wirkt fröhlich und unbeschwert.

Ein weiteres Video zeigt eine deutlich andere Szene: Mehrere Polizisten bringen den Mann mit erheblicher Kraft zu Boden und fixieren ihn. Dabei sind Rufe wie „Ihr spinnt“ zu hören. In einer Sequenz scheint ein Beamter den Angeklagten zu schlagen, auch der Einsatz eines Knies bei der Fixierung ist erkennbar.

Die Bodycam-Aufnahmen belegen zugleich, dass der 45-Jährige bei seiner Festnahme erheblichen Widerstand geleistet hat. Zu sehen ist auch, wie er von mehreren Beamten getragen wird. Später, während auf einen Transportbus gewartet wird, sitzt der Angeklagte mit Handschellen gefesselt auf dem Boden – aus einer Platzwunde an der Stirn blutet er stark. „Sie hatten ihre Chance“, sagt einer der Polizisten.

Trotz der Situation wirkt der Angeklagte in dieser Szene ruhig. Er spricht mit den Beamten: „Ist das euer Ernst? Was macht ihr eigentlich mit Leuten, die wirklich jemanden verprügelt haben – das will ich eigentlich gar nicht wissen.“

Tätlicher Angriff, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten auf dem Crailsheimer Volksfest 2024 im Engelzelt

Die Aufnahmen zeigen in Teilen ein hartes Vorgehen der Einsatzkräfte, was auch im Gerichtssaal für sichtbare Reaktionen sorgt. Der Angeklagte reagiert in den Ausschnitten wütend: „Ich tu einen Scheiß. Mit welchem Recht? Sind wir hier in Texas oder was? Im Moment bin ich nicht mehr wegen dem Mädel sauer, sondern wegen euch.“

Ein weiteres Beweisvideo aus der Gewahrsamszelle dokumentiert, wie dem Angeklagten mit einer Schere die Kleidung entfernt wird. Er liegt bäuchlings am Boden; die Schere wird bereits angesetzt, bevor er über die Maßnahme aufgeklärt wird. Anschließend wird die Matratze aus der Zelle entfernt. Der Angeklagte verhält sich dabei ruhig und zeigt keine Anzeichen von Aggression. Als schließlich seine Festivalbändchen abgeschnitten werden, äußert er empört: „Seid ihr doof?“ – dieselben Worte, die auch in seiner Aussage vor Gericht erwähnt wurden.

Die Verletzungen des Angeklagten nach dem Polizeieinsatz sind dokumentiert: Schürfwunden am Kopf, Hämatome und Prellungen an der Schulter, großflächige Kratzspuren sowie aufgeschürfte Knie. Neben dem Strafantrag der Eltern der damals 15-jährigen mutmaßlich Geschädigten liegen auch Anzeigen aller beteiligten Polizeibeamten vor.

Der 45-Jährige, der an psychischen Erkrankungen leidet, klagt zudem über multiple Prellungen, Schmerzen an der Halswirbelsäule, Kopfschmerzen und Beschwerden im rechten Handgelenk. Radiologische Untersuchungen ergaben keine gravierenden Befunde, jedoch habe er nach eigenen Angaben länger mit Meniskusproblemen zu kämpfen gehabt. Im Bundeszentralregister ist der Mann bislang nicht verzeichnet.

Das Gericht entscheidet, dass die Äußerungen in der Gewahrsamszelle – darunter „Seid ihr doof?“ – nicht als strafbare Beleidigungen gegenüber den Beamten zu werten sind.

Verteidiger Thomas Vasel aus München plädiert auf Freispruch. „Das war alles ziemlich heftig – das sieht man auf den Videos“, sagt er. Richterin Uta Herrmann reagiert darauf knapp, aber bestimmt: „Über das Urteil entscheide ich.“

Während der Bodycam-Aufnahmen zeigt sich der Angeklagte sichtlich verärgert darüber, dass die Sequenz der angeblich zweiten Fixierung – bei der ihm laut seiner Aussage ein Polizist mit dem Knie die Luft abdrückte – nicht gezeigt wird. Vasel deutet zudem an, dass einer der Beamten, den er als besonders aggressiv beschreibt, möglicherweise eine Falschaussage gemacht habe.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, Frau Hopfensitz, fordert eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30 Euro. „Die Aussagen der Zeugen reichen aus meiner Sicht nicht für den Tatvorwurf der sexuellen Belästigung“, erklärt sie in ihrem Plädoyer und spricht sich in diesem Punkt für einen Freispruch aus.

Der Angeklagte habe, so Hopfensitz weiter, bereits im Verlauf des Verfahrens erheblich gelitten. Auch den Vorwurf der versuchten Körperverletzung könne sie mangels Vorsatz nicht aufrechterhalten. Bei den Beleidigungen zeige sich der 45-Jährige teilgeständig, ebenso müsse er sich wegen Widerstands und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verantworten.

Die Frage der Rechtfertigung sei juristisch. In ihrem Plädoyer stellt sie die Frage, ob der Stoß gegen den Polizisten zu Beginn der Auseinandersetzung stattgefunden habe. "Meines Erachtens war diese Bewegung als Abwehrbewegung nicht gerechtfertigt, denn der Polizist griff ihn nicht an."

Verteidiger Thomas Vasel sieht den Vorwurf der sexuellen Belästigung als nicht haltbar. „Das Mädchen hat nicht gesehen, dass der Angeklagte sie berührt hat – sie hat sich nur umgedreht und ihn gesehen“, argumentiert er. Laut eigener Aussage sei die damals 15-Jährige ein sehr emotionaler Mensch und habe im Nachhinein Angst bekommen, „was hätte passieren können“. Aus Überforderung habe sie reagiert – doch Beweise für eine tatsächliche Berührung gebe es nicht. „Es ist nicht ansatzweise klar, dass der Angeklagte das getan hat.“

Tätlicher Angriff, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten auf dem Crailsheimer Volksfest 2024 im Engelzelt

Auch beim Vorwurf der versuchten Körperverletzung sieht der Verteidiger keine klare Schuld. „Der Polizeibeamte selbst hat nicht gesagt, dass der Schlag absichtlich erfolgt sei. Und die Aussage seines Kollegen ist widersprüchlich – er schildert den Vorgang völlig anders.“ Zudem sei das Knie seines Mandanten nach dem Einsatz angeschwollen gewesen. Auf den Bodycam-Aufnahmen sei deutlich zu erkennen, dass ein Beamter auf dem Hals des Angeklagten kniet. „Der Polizist hat die Situation womöglich nicht in allen Punkten so geschildert, wie sie tatsächlich war.“

Auch die Beleidigungen gegenüber den Einsatzkräften seien eine Reaktion auf die körperliche Härte gewesen. „Es war eine emotionale Reaktion auf massive Gewalt.“ In keinem der Videos sei zu sehen, dass der Angeklagte aktiv um sich geschlagen habe. Die körperlichen und seelischen Folgen des Einsatzes hätten er und seine Partnerin bis heute nicht verarbeitet. Daher fordert Vasel ein Urteil unter 90 Tagessätzen, um dem 45-Jährigen den Erhalt seines sauberen Führungszeugnisses zu ermöglichen. Dieses sei entscheidend für seine Arbeit in der Kindertageseinrichtung – eine Tätigkeit, die ihm Halt gebe.

Der Angeklagte selbst entschuldigt sich am Ende der Verhandlung: „Ich hatte mich während des Prozesses nicht immer im Griff – vieles kam wieder hoch.“ Er zeigt Mitgefühl für das Mädchen: „Es tut mir leid, dass sie so darunter gelitten hat. In dem Alter ist das eine andere Nummer. Aber ich bin weit davon entfernt, mich an Kindern oder Frauen zu vergreifen.“ Er habe so reagiert, da er sich ungerecht behandelt fühlte. „Ich wurde körperlich misshandelt, meine Worte waren eine Folge davon.“

Seine Lebensgefährtin, die ihn durch den Prozess begleitet hat, ist tief bewegt – kurz vor der Urteilsverkündung bricht sie in Tränen aus. „Die Kinder fragen ständig, wann er wiederkommt“, sagt sie leise.

Richterin Uta Herrmann verurteilt den Angeklagten wegen tätlichen Angriffs, Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu 90 Tagessätzen à 30 Euro.

Den Vorwurf der sexuellen Belästigung weist das Gericht zurück. Der Angeklagte habe die Tat von Beginn an bestritten, und auch die Beweislage reiche nicht aus. Die Aussage ihres Freundes habe den Tatverdacht deutlich abgeschwächt. „Sie war maßgeblich für den Freispruch.“

Bei den Beleidigungen und dem Widerstand gegen die Polizei sieht die Richterin jedoch keinen Zweifel. „Eine Klärung der Situation war aufgrund Ihres aggressiven Verhaltens von Anfang an nicht möglich“, wendet sie sich an den Angeklagten. „Mit Ihrem Verhalten haben Sie eine Eskalation provoziert und sich nicht dafür qualifiziert, dort zu bleiben.“

Tätlicher Angriff, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten auf dem Crailsheimer Volksfest 2024 im Engelzelt

Vor allem im Umgang mit dem Polizeihauptkommissar, der sich „lange geduldig gezeigt“ habe, habe der 45-Jährige durch seinen Konfrontationskurs die Lage weiter verschärft. „Was erwarten Sie von der Gegenseite? Sie hat irgendwann nicht mehr diskutiert, sondern gehandelt.“

Dass die Beamten körperlich vorgingen, sei eine Folge seines eigenen Widerstands gewesen. „Die Beleidigungen sind sicherlich aus der Situation heraus gefallen – ich glaube nicht, dass Sie die Beamten gezielt als ‚Spinner‘ oder ‚Witzfiguren‘ beleidigen wollten.“

Die Richterin erkennt jedoch an, dass der tätliche Angriff des Angeklagten teilweise aus einem Irrtum über die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes resultiert sei. Eine versuchte Körperverletzung könne nicht festgestellt werden. „Der subjektive Sichtbereich reicht hier nicht aus.“

Positiv wertet sie das Teilgeständnis des Angeklagten und die Tatsache, dass seine Verletzungen nach dem Polizeieinsatz sichtbar dokumentiert sind. „Sie haben eine Nacht in der Zelle verbracht und sind bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten.“


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