"Reifen" als Codewort für Kokain
Eine Autowerkstatt in Crailsheim diente monatelang als Drogenumschlagsplatz. Dort herrschte ein reger Betrieb. Jetzt hat sich der Betreiber vor dem Amtsgericht verantworten müssen.
Knapp drei Jahre nach den mutmaßlichen Taten muss sich ein
52-jähriger Kfz-Mechaniker vor dem Schöffengericht Crailsheim verantworten. Die
Staatsanwaltschaft wirft dem Mann gewerbsmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln
vor – ausgehend von seiner Autowerkstatt in Crailsheim. Die Vorwürfe beziehen
sich auf den Zeitraum vom 23. Juli bis 22. November 2022.
Laut Anklage soll der Mechaniker in 39 Einzelfällen Kokain
und Amphetamin verkauft haben – in Mengen zwischen 0,5 und 5 Gramm beim Kokain
sowie zwischen 5 und 10 Gramm beim Amphetamin. Darüber hinaus geht es um den
Erwerb von 50 Gramm Kokain und 30 Gramm Amphetamin zum Weiterverkauf. Eine
Durchsuchung der Werkstatt förderte ein Gramm Kokain und acht Gramm Amphetamin
zutage, mit Wirkstoffgehalten von rund 45 bzw. 25 Prozent.
Viele seiner Abnehmer und Lieferanten sitzen inzwischen
selbst hinter Gittern – einige haben bereits umfangreiche Geständnisse
abgelegt. Der Angeklagte mit polnischen Wurzeln soll sich durch die
Drogengeschäfte eine dauerhafte Einnahmequelle neben seiner selbstständigen
Tätigkeit geschaffen haben. Seit Sommer 2020 betrieb er seine Werkstatt – ohne
Meistertitel.
Auch Konsum räumt der 52-Jährige ein. Er sei seit drei
Wochen clean. Doch an die einzelnen Taten könne er sich kaum noch erinnern,
betont er mehrfach: „Ich stand oft unter Alkohol- und Drogeneinfluss.“ Amtsgerichtsdirektorin
Dorothea Keck begegnet dieser Aussage mit Skepsis: „Die Telefonaufzeichnungen
sprechen eine klare Sprache.“
Auf Videoaufnahmen aus der Werkstatt sind mehrere Zeugen des
Prozesses zu sehen – beim Betreten des Geländes, beim Kontakt mit dem
Angeklagten, offenbar zur Drogenübergabe. Der Angeklagte wirkt nervös,
wiederholt: „Ich kann mich nicht erinnern.“ Auch auf Telefonmitschnitte wie
„Ich sterbe schon hier. Hab nix mehr, du Hure.“ reagiert er ausweichend.
Ein Käufer habe Amphetamin bestellt, das Gelände betreten
und vier Minuten später wieder verlassen – mit einem Tütchen in der
Hosentasche. Konfrontiert mit dieser Szene räumt der 52-Jährige teilweise ein:
„Der hat nie Amphetamin genommen, sondern ein- bis zweimal Koks geholt.“
Die Preisstruktur sei ihm nicht mehr ganz klar. Auf
Nachfrage schätzt er: „Ein Gramm waren vielleicht 80 Euro.“ Als Codewörter für
die Drogen dienten in den abgehörten Gesprächen Begriffe wie „Reifen“ oder
„Flaschen“. Ein Hähnchenverkäufer soll fünf Gramm Kokain und Amphetamin
geordert haben – angeblich wegen „abgefahrener Reifen“. Der Angeklagte bleibt
vage: „Es kann sein, dass er wirklich Reifen gebraucht hat.“
Richterin Keck lässt sich davon nicht überzeugen: „Sie haben
alle gelacht und überlegt, wie Sie die Drogen umschreiben.“ Bilder der
Überwachungskamera zeigen den Mann am Schreibtisch, wie er Drogen für den
Konsum vorbereitet – offenbar gemeinsam mit Abnehmern, die laut Beweislage
teils direkt vor Ort konsumierten. Keck zitiert weitere Telefonmitschnitte:
„Gibt’s so eine Portion wie beim letzten Mal?“, „Was für den Geburtstag“ oder:
„Eine Flasche Wasser für den Jungen bestellt.“
Die Werkstatt habe als Umschlagplatz gedient, so die
Ermittler. Ein reger Betrieb auf dem Parkplatz, Übergaben, Lieferungen –
dokumentiert durch Observationen. Die 100 Gramm Kokain, die er sich laut
Ermittlungen mit einem Bekannten teilen wollte, will er nie besessen haben:
„Das kann ich mir nicht leisten. 8.000 Euro habe ich nicht.“
Richterin Keck zitiert weiter aus abgehörten Gesprächen:
„Meine Nase ist immer noch am Arsch – das Zeug ist zu feucht.“ Für das Gericht
ist klar: Der Angeklagte will seine Käufer schützen. „Für mich stinkt das zum
Himmel“, sagt Keck.
Eine Vertrauensperson hatte die Polizei auf die Werkstatt
aufmerksam gemacht. Die Polizisten nahmen eine Person dabei wahr, wie sie sich
hinter einem Auto etwas in die Nase zog. Kurz darauf wurde ein Tütchen mit
weißem Pulver ins Fahrzeug geworfen – der Anfangspunkt der Ermittlungen.
Laut Polizei war der Angeklagte zentrale Ansprechperson für
alle Käufe. Die Nachfrage sei hoch gewesen, teils täglich. Auch Geldprobleme
des 52-Jährigen – etwa durch Spielcasinobesuche – könnten ein Motiv gewesen
sein. In der Werkstatt wurde zwar gearbeitet, aber auffällig schnell: „Manche
Fahrzeuge waren in fünf Minuten repariert. Es ist wahrscheinlich mehr dort
passiert, als uns bekannt ist.“
Bei einer Wohnungsdurchsuchung wurden keine weiteren harten
Drogen gefunden – nur 2,6 Gramm Marihuana und Verpackungsmaterial im Zimmer des
Sohnes. Bei der Werkstattdurchsuchung hingegen entdeckten Ermittler Werkzeuge,
eine Machete, Handys, sowie Tüten mit weißem Pulver. Konsumorte waren
vorbereitet – ein Tisch mit Zigaretten, Getränken und allem, was nötig war.
Nach einer Unterbrechung der Verhandlung sollen weitere
Käufer als Zeugen gehört werden. Auffällig: Der Angeklagte steht in der Pause
rauchend mit ihnen vor dem Gerichtsgebäude. Richterin Keck kommentiert trocken:
„Auch die Zeugen von gestern hatten Erinnerungslücken.“
Der nächste Zeuge streitet ebenfalls ab, jemals etwas vom
Angeklagten erworben zu haben. „Also das weiß ich jetzt wirklich nicht mehr“,
sagt er vage. Die Richterin begrüßt ihn mit klaren Worten: „Bei Ihnen steht
einiges auf dem Spiel. Das wissen Sie.“ Zwar habe er nichts gekauft, aber dennoch
Amphetamin vom Angeklagten übernommen: „Damals war ich Konsument – unter
Freunden hilft man sich.“ Den Hauptlieferanten des Angeklagten habe er von
Cocktailpartys gekannt. „Da haben Sie was verpasst, wenn Sie noch nie dort
waren“, scherzt er gegenüber der Richterin. Auf Provokationen des Gerichts oder
auf Videoaufnahmen reagiert er nicht. „Man kennt sich halt – für Koks bekommt
man eben auch mal drei Dosen Jacky.“
Der Zeuge betont, sparen zu müssen, und habe deshalb seine
vier Fahrzeuge regelmäßig in die Werkstatt des Angeklagten gebracht. „Einmal
die Woche war ich da – bei vier Autos keine Seltenheit. Ich kann mir als
Otto-Normalverbraucher keinen Mulfinger leisten. Das heißt aber nicht, dass ich
immer was genommen habe.“
Mehrere Zeugen machten von ihrem Aussageverweigerungsrecht
Gebrauch, um sich nicht selbst zu belasten. Auch ein weiterer Zeuge zeigt sich
wenig kooperativ. Der 46-jährige Arbeiter bestreitet, jemals Kokain konsumiert
zu haben – obwohl Kameraaufnahmen aus der Werkstatt ein anderes Bild zeigen.
„Die Kamera hat alles aufgezeichnet. Das können wir Ihnen zeigen“, mahnt
Richterin Keck. Der Zeuge bleibt dabei: Er sei nur mit Alkohol erwischt worden.
„Überlegen Sie sich gut, was Sie sagen“, warnt Keck erneut.
Das Päckchen in seiner Hand sei eine Zigarettenschachtel
gewesen, behauptet er. Doch die Richterin kontert: „Da liegt das Kokain auf den
Blechen. Das haben Sie sich alle reingezogen. So raucht man keine Zigarette.“
Sie verliert die Geduld: „Ich lasse mich nicht vergackeiern. Glauben Sie, er
wird nicht verurteilt, wenn Sie hier rumeiern?“ Auch nach erneutem Vorzeigen
der Aufnahmen beharrt der Zeuge auf seiner Version. Seine Antwort bleibt
gleich: Es seien Zigaretten gewesen. „Es ist wirklich traurig, wenn man nicht
zu seinen Taten steht“, kommentiert Keck zum Schluss. Selbst die Androhung,
seinen Bruder als Zeugen zu laden, bringt den Mann nicht zum Reden.
Trotz Strafbefehl hüllt sich auch der letzte Zeuge in
Schweigen. „Ich weiß nicht, wie man darauf kommt, dass ich Drogen gekauft
hätte. Hab die Strafe einfach bezahlt, da ich kein Geld für ein
Gerichtsverfahren habe.“ Auch die konfrontierenden Observationsfotos ändern
nichts daran. „Sie haben jetzt noch die Chance, sich zu äußern. Mit 40 Jahren
hat man normalerweise kein Alzheimer“, mahnt Richterin Dorothea Keck. Der Zeuge
bleibt dabei: Er könne nichts sagen. „Das nehme ich Ihnen nicht ab“, entgegnet
Keck knapp.
Die Staatsanwältin fordert zwei Jahre und drei Monate
Freiheitsstrafe sowie eine Geldstrafe von 4.660 Euro. Man könne dem Angeklagten
zwar nicht alle Vorwürfe nachweisen, aber viele seien hinreichend belegt. Die
Verteidigung plädiert auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs
Monaten auf Bewährung. Der Angeklagte sei lediglich Vermittler gewesen, zudem
habe ihn seine Spiel- und Drogensucht in das Milieu geführt. Seit fast drei
Jahren lebe er nun straffrei.
Das Urteil wird um 15:35 Uhr verkündet: Der 52-Jährige wird
wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in sieben Fällen,
Handels in 26 Fällen sowie Besitzes zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf
Bewährung und einer Geldstrafe von 4.227,50 Euro verurteilt. Zu den Auflagen
gehören der Antritt einer Therapie und die Aufnahme einer festen Arbeit.
Das Führungszeugnis des Angeklagten zeigt acht Einträge –
darunter Fahren trotz Fahrverbots. „Da sind Sie sogar vor der Polizei
rumgefahren“, kommentiert die Richterin. Bereits 2011 habe er einer verdeckten
Ermittlerin des LKA Marihuana vor einem Kaufhaus in Crailsheim verkauft.
Ob er die Bewährung nutzt oder doch absitzen muss, liegt nun
an ihm. Keck zeigt sich skeptisch: „Sie haben sich schon früher nicht an
Bewährungsauflagen gehalten. Jetzt brauchen wir Leistung von Ihnen.“ Die
Verzögerung des Verfahrens sei strategisch gewesen: „Sonst hätte hier keiner
ausgesagt.“ Auch mit der Zusammenarbeit sei man unzufrieden: „Das war ein
Eiertanz – Sie hätten deutlich mehr beitragen können.“
Zum Schluss rät sie ihm, sich nicht erneut selbstständig zu
machen und den Kontakt zu seinem Umfeld abzubrechen. „Bei der nächsten Straftat
sind Sie fällig. Und überlegen Sie sich gut, ob Sie sich nochmal betrunken ans
Steuer setzen oder weitergeben, was nicht erlaubt ist. Sie wollen doch ein
Vorbild für Ihre Kinder sein – mit der Rechtstreue haben Sie es aber nicht so.“
Der Angeklagte wirkt sichtlich erleichtert. „Alles über zwei
Jahre Gefängnis wäre nicht gut gewesen“, sagt er. Er bedankt sich. Die
Richterin entgegnet kühl: „Bedanken Sie sich nicht. Suchen Sie sich Arbeit und
einen Therapieplatz. Ich bin erst zufrieden, wenn ich Ihr Bewährungsheft mit
erfüllten Auflagen auf dem Tisch habe.“
Die Amtsgerichtsdirektorin sei die letzten Jahr fast ausschließlich mit den Verfahren in Verbindung der Werkstatt beschäftigt gewesen. Der Verpächter hat den Angeklagten nach der ersten Berichtserstattung im Oktober 2024 vor die Tür gesetzt.
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